Sonntag, 30. September 2007

Neoliberalismus und Emanzipation

"Die globalen Märkte mit den neoliberalen Regeln des unbegrenzten Wettbewerbs bieten sich als Orte an, wo Individuen, als UnternehmerIn ihrer selbst, beim Backen und Verteilen des Kuchens "teilhaben" können. Der Markt öffnet sich für Frauen mit dem Versprechen auf Chancengleichheit und optimale Ressourcenzuteilung. Das führt zur bizarren Übereinstimmung zwischen dem Emanzipationsinteresse von Frauen und der Verwertungsdynamik der Märkte.

Feministische Leitbilder - Befreiung von patriarchaler Kontrolle, Selbstbestimmung, Unabhängigkeit, eigenständige Existenzsicherung - treffen sich jetzt mit den Prinzipien des globalen Standortwettbewerbs und der neoliberalen Zuweisung von individueller Eigenverantwortung. [...]Die Paradoxie der Integration liegt darin, dass Partizipation und die Gleichstellungsperspektive für Frauen ein emanzipatorischer Sprung nach vorn sind, der allein jedoch herzlich wenig an ungleichen und ungerechten Markt- und Machtstrukturen ändert. So ist die überkommene patriarchale Geringbewertung von Frauenarbeit und die Definition der Frauen als Zuverdienerinnen derzeit wunderbar funktional für die Informalisierung und Prekarisierung von Beschäftigung, für Deregulierung und den Kostensenkungswettbewerb. Mehr Chancen gibt es für Frauen, nicht aber zwangsläufig mehr Gleichheit.

Wo die Forderungen von Frauenbewegungen nach Chancengleichheit und nach Gleichstellung in Führungspositionen aufgenommen werden, wird das Etikett Feminismus auf alles und jedes geklebt, wo Frau drin ist. Dem Feminismus der zweiten Frauenbewegung ging es jedoch um Kritik an Herrschaftsverhältnissen. Ihr Ziel war die Veränderung dieser Strukturen, nicht Geschlechtergleichheit in ihnen. Emanzipation meinte nicht nur die individuelle Befreiung von Fesseln, sondern die Beseitigung struktureller Gewalt und Diskriminierung.

Die Melodie des neoliberalen Feminismus, die Katja Kullmann, Thea Dorn und die Weltbank verbindet, ist dagegen die von Wahlfreiheit, Aufstiegschancen und Leistungsgerechtigkeit. Sie lässt eine Kritik an Hierarchien und Ungleichheiten als kontraproduktiv erscheinen und verkauft sie deshalb für dumm und intellektuell billig."

aus: Christa Wichterich, Paradoxie und Integration, TAZ, 24.9.2007.

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