Freitag, 1. Februar 2008

Foucault, Marx, Neoliberalismus

"Doch vergessen wir das "Pastorat" nicht. Der Ausdruck bezeichnet zunächst eine Herrschaft, die durch Seelsorgetechniken lenkt. Die Ideologie des "Pastors", also des guten Hirten, der nicht nur die ganze Herde schützt, sondern sich auch um jedes einzelne Schaf kümmert, erleichtert die Machtausübung. Solcher Techniken bedient sich anfangs nur die Kirche, doch seit dem Beginn der Neuzeit werden sie von "Vater Staat" adaptiert und umfunktioniert. Foucault kann den Begriff daher verallgemeinern. Er bezeichnet schließlich jede Politik, in der Individuen durch die Steuerung und Veränderung ihres Verhaltens und durch körperliche Dressur beherrscht werden. Um es kurz zu machen: Der Liberalismus, später der Neoliberalismus versprechen die Befreiung des Individuums von solchen "pastoralen" Zwängen. Nehmen wir zum Beispiel die Grundsicherung, für die nicht nur Neoliberale, sondern auch Linke, ja Marxisten eintreten. Sie wird als Befreiung vom quälenden Gang zum Sozialamt angesehen, das als Nachfolger des Beichtstuhls erscheint.

Ist das "linker Neoliberalismus"? Aber dann müsste man dem neoliberalen Versprechen trauen können. Ob das neoliberale Individuum frei ist, wenn es sich vom Staat befreit hat, ist mehr als fraglich. Es kann gewiss freier geworden sein, wie Marx das ja schon dem vorneoliberalen kapitalistischen Individuum im Verhältnis zum feudalen zubilligt. Mit Foucault ließe sich indes argumentieren, dass das neoliberale Individuum, wenn es das eigene Verhalten fremdbestimmt steuert, dafür einen Staat nicht mehr braucht. Es ist sich selber Staat. Man kann die "Selbstausbeutung" fröhlich freier Menschen überall beobachten.

Die Pastorats-Analyse hat jedenfalls eine staatstheoretische Dimension. Der neuzeitliche Staat herrscht durch Verhaltenssteuerung? Marx und Engels hatten dies nicht gesehen, sondern den freilich ebenso wichtigen Aspekt der Herrschafts- und Gewaltzentralisierung hervorgehoben. Das von ihnen propagierte "Absterben des Staates" würde zu föderalen statt zentralen Politikformen führen, es liefe letztlich auf den Ersatz des Staates durch eine Assoziation von Kommunen hinaus. So hat Marx es in seinem Kommentar zur Pariser Commune von 1871 erläutert. Doch wie Foucault uns lehrt, ist der Übergang zur Commune noch nicht das Ende der fremdbestimmten Verhaltenssteuerung. Erst wenn auch sie abstirbt, stirbt der Staat ab."

Michael Jäger (2007): Ohne Staat Leben, in Freitag Nr.5.

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