Freitag, 30. November 2007

Die kürzeste Verbindung von McDonald´s, Lindenstraße und einer G 8-Demonstration ist eine Limonade

Georg Seeßlen über Bionade:


Wer die Welt nicht genießen kann, der muss einen Sinn in ihr finden. Oder umgekehrt. Wer einen Maserati und eine Yacht hat, braucht keinen Sinn (jedenfalls solange kein malignes Melanom bei ihm festgestellt wurde), und wer im Getränkecontainer nach Pfandflaschen fischt, braucht auch keinen - das Überleben selbst muss genügen. Die Dialektik von Sinn und Genuss wird dagegen immer brisanter, je weiter es in die (schwindende) Mitte geht: Eine Ware, zum Beispiel, muss hier Genuss mit Sinn und Sinn mit Genuss verbinden. Sonst ist sie gefährlich oder ekelhaft.

Den Sinn einer Ware könnte man einerseits als radikale Fortsetzung des Tauschwertes ansehen: Ein Turnschuh einer bestimmten Marke sagt nicht mehr "Ich habe", sondern "Ich bin", und der Tausch ist demnach, in manchen Lebensbereichen ganz buchstäblich, eine Sache auf Leben und Tod. Andrerseits ist der Sinnwert einer Ware das Ergebnis einer bestimmten Beziehung zwischen Gebrauchswert und Tauschwert. Die Ware ist zugleich soziale Angriffswaffe und imaginärer Rückzugsraum, und auf diese Weise nicht nur ein Objekt im Gespräch der Subjekte untereinander und zwischen Subjekt und Welt, sondern selber Sprache. So gibt es Waren, deren Sinn darin besteht, etwas über die zu sagen, die sie nicht haben. Und es gibt andere Waren, die glaubhaft versichern, sie hätten den einen oder anderen Widerspruch zwischen Kapitalismus und Menschlichkeit gelöst.

Je weiter man von der Mitte entfernt ist, desto stärker fallen Genuss und Sinn in der Ware auseinander. Das gilt für die erwähnte Yacht ebenso wie für eine Flasche Doppelkorn; man hat da einfach kein Schuldgefühl mehr. In der Mitte dagegen verspricht jede Ware zugleich Genuss und Abwehr: Gesundheit, Vorsorge, Ordnung, Familie oder Sauberkeit. Die Ware muss die Schuld abarbeiten, mit der sie immer verbunden ist, und ihre größte Schuld hat die Ware dem Wesen gegenüber, um das der Kleinbürger am meisten besorgt ist: sich selbst. Die gute Ware der Mitte ist eine Ware, die mir nichts antut. Sie enthält ein Versprechen (Sex! Macht! Reichtum!), und sie enthält eine Beschränkung (Wenig Fett! Kein Schmutz! Null Risiko!). Auf dem Mainstream-Markt hat jede neue Ware Aussicht auf Erfolg, die eine neue Balance zwischen Sinn und Genuss verspricht. Daher gibt es Waren, deren paradoxer Sinn darin besteht, die verlorene Unschuld zu rekonstruieren. Das meint nicht nur die Anti-Ware aus dem Bio- und Eine-Welt-Laden (die der Mitte eindeutig zu viel an Sinn enthält), es meint auch einen Gebrauch der Ware als Konsensvorschlag. Eine Ware ist dann das perfekte Bild dessen, auf das man sich zwischen Sinn und Genuss einigen kann, und mehr noch: Eine Ware ist das Bild dieser Einigung. Eine Einigung, die immer nur temporär funktioniert, denn Genuss und Sinn lassen sich nicht nachhaltig miteinander verbinden. Es sei denn, man definiere Sinn und Genuss nach eigenem Bedarf und nicht nach der Praxis des Mainstreams, was aber in unserem momentanen Zusammenhang so wenig von Interesse ist wie die klugen Antworten, die Arthur Schopenhauer, der Dalai Lama oder mein Freund Peter auf den Widerspruch von Sinn und Genuss ganz sicher parat hätten.

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